Hümbärn


13. August 2015 ·

Hümbärn

"Esst, soviel ihr wollt! Ich kann da nicht hin, aber
runter müssense!" Es war eine gute Idee, beim Kindergarten anzuhalten und ein paar Stöpkes zum Himbeerpflücken
einzuladen. Die Kindergärtnerin war auch begeistert - kommense mal raus, die Lütten, hehe...
"Aber passt beim Stachelbeerbeet auf, dass ihr euch nicht verletzt..." mahnte ich. Die Kinderbeinchen wurschtelten sich so durch, bis sie alle an der Hecke standen. "Hm, Hümbärn!" Mein botanisches Wissen ist embryonal entwickelt, doch Himbeeren erkenne ich und hab auch schon mal welche gegessen. Der Geschmack der Früchte hatte mich damals dermaßen überwältigt, dass ich erst Jahre später wieder mal welche aß. Man darf sich nicht an Schönes gewöhnen. Und nun hatte ich die Hoffnung, gar die Möglichkeit - nein, den Befehl, die Beeren zu ernten und musste im Liegestuhl zusehen, wie die wunderbaren Früchte von gierigen "Rabschnäbeln" weggefressen wurden - nur, weil ich mich vor den Stacheln, im Beet davor, in acht nehmen wollte. Man legt keine Stachelbeerbeete vor Himbeerhecken an -
macht man nich!
Die kleenen Geister kamen aber auch überall hin. Bloß gut, dass sie nicht so große Hände hatten, wer weiß, wieviel se...
- "Was meinen Sie überhaupt mit Stachelbeerbeet? Sie meinen Erdbeerbeet, sie versprachen sich?"
- "Das mag ja sein, aber die Stacheln mag ich nicht und schon gar nicht an den Füßen!"
- "Sie denken, dass die Erdbeerpflanzen vor dem Himbeerstrauch, Stacheln haben? Oh, da kann ich Sie aber beruhigen - dem ist nicht so!" - flötete die an sich nette Frau.
- "Deshalb dürfen Ihre Schützlinge ja hier ernten, ich wage mich nicht durch das Feld mit Stacheldraht und die Kinder haben dünnere Beinchen!"
- "Also wissense," - entrüstete sich die tolle Frau, akzeptierte jedoch, dass durch meine 5 in Bio die Kinder alle Hände voll Beeren bekamen und sah weiter, in sich lächelnd, dem Treiben der verfressenen Geister zu!
Keine Stacheln? Erntehelfer umsonst geholt? Nun reicht es aber!
Mit dem Wissen, gefahrlos durch diese Fläche mit Wasweißichfürbeeren gelangen zu können, machte ich einen bedrohlichen, autoritären Schritt auf die Kinder zu und rief: "Stopp! Reicht! Ich sagte reicht!"
Wer schon mal einen Zombiefilm gesehen hat, wo die Charakterdarsteller durch ein "Huch!" der Vorübergehenden, kurz von ihrem Opfer ließen und neugierig auf die Störenfriede starrten, weiß, dass ich mir jetzt nicht mehr so viel Mühe geben muss, um diese Situation mit den Erntehelfern, illustriert darzustellen. Genauso sahen die Lieben aus!
Blutverschmierte, triefende Lippen-Kinnpartieen und irre funkelnde Augen - ruckartig auf mich gerichtet!
"Jeder nur noch eine Beere und dann ist es genug damit!"
Ich fürchtete, dass eine besonders saftige, tiefrote, also recht süße, der letzten Beeren auch noch entdeckt würde und trieb sie von der Hecke.
Nun standen alle fünfe vor der Erzieherin und mir. Bluttriefend, aber satt und keck grinsend.
Doch die eine mitte Zöppe! Grinste auch, aber verschlagen. Ich weiß bis heute nicht, wo so niedliche kleine Gören, von 4-5 Jahren, immer so viel kriminelle Energie hernehmen, um sich ihre Interessen erfüllen zu können!
"Mach mal deine Hand auf! Nee, die andere!"
Das hohle Fäustchen öffnete sich und legte zwei Himbeeren frei. Eine war vom gekrümmten Kleinen Finger eingeklemmt und war schon Matsch, die andere hoppelte schnell in ihren Mund. Sie streckte mir noch mit offenem Mund ihre rote Zunge raus und da sah ich sie: meine tiefrote, süßeste aller Himbeeren!
Während sie sich von ihrer pürierten Himbeere in der Hand, am Kleidchen säuberte, blitzte Schalk in ihren Augen.
Dann schlossen sich ganz langsam ihre Lippen, während sie mir schamlos in die neidisch blickenden Augen sah und ich schwöre, ich hab es in ihrem Mund kreischen hören, als die Frucht endgültig zerplatzte...

Als die Kinder, fröhlich winkend, den Garten verließen, den ich eine Woche zur Pflege übernahm, sah mich noch eine einzige fruchtige Schönheit in der Hecke, an. Da Stacheln im Beet nicht mehr das Thema waren, ging ich mannhaft auf meine schönste, aller Früchte zu und.....

Auf der Suche im Gras, nach der heruntergefallenen Himbeere, griff ich vermehrt in Brennnesseln, kleinen,
gemeinen Distelchen und verlachte jede Art von Schmerz, denn irgendwo da unten lag sie, die einzige, die süßeste, die meine...

Dass ich in der Nacht von einer Bärenfalle im stacheligen Erdbeerfeld träumte, wird man mir gern glauben
und dass als Köder eine tiefrote Himbeere in der Falle lag doch sicher auch, oder?

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